Area Süd – die Wirtschaftsregion Südösterreich – Teil I: Was trennt, was verbindet die Steiermark & Kärnten und vor welchen Herausforderungen steht ein gemeinsamer Wirtschaftsraum?

Der erste Teil der Reihe zur Wirtschaftsregion Südösterreich widmet sich der Wirtschaftshistorie der Länder Steiermark und Kärnten.

Zuletzt aktualisiert am 09.04.2024, 13:09

Bahn Bahn

Große Infrastrukturprojekte haben wirtschaftshistorisch betrachtet zu großen Weichenstellungen geführt. So hat der Bau der Semmeringbahn im 19. Jahrhundert die Industrialisierung Südösterreichs und folglich den wirtschaftlichen Aufstieg der Steiermark mit eingeleitet. Ähnliche große Veränderungen könnten durch den Bau des Jahrhundertprojektes Koralmbahn vonstattengehen, in Form der Verschmelzung zweier Bundesländer zu einem echten gemeinsamen Wirtschaftsraum. Ein genauerer Blick auf die Historie beider Länder offenbart, dass die Steiermark und Kärnten regionalpolitisch und ökonomisch betrachtet doch mehr trennt als lediglich eine topographische Barriere. Die Potentiale, die sich durch ein Zusammenwachsen ergeben, sind dennoch enorm. Neben den Ballungsvorteilen, die ein neuen Zentralraum in Südösterreich unweigerlich mit sich bringt, verheißen vor allem die komplementären Wirtschaftsstrukturen in Verbindung mit kurzen Wegen neue Möglichkeiten für Wachstum und Prosperität. Welche Möglichkeiten dies im Detail sind und wie diese gehoben werden können, wurde im Rahmen zweier großer Standortstudien seitens des Joanneum Research, der Universität Graz und des Instituts für Wirtschafts- und Standortentwicklung der WKO Steiermark analysiert. Im Rahmen einer Spezial-Blog-Reihe zum Thema Wirtschaftsstandort Südösterreich wollen wir die Kernergebnisse dieser Studien vorstellen. Die wirtschaftshistorische Entwicklung und die sozio-ökonomische Verortung Südösterreichs stehen im Mittelpunkt des ersten Teils unserer Blog-Reihe.  

Die Area Süd aus einer wirtschaftshistorischen Perspektive

Mit der Fertigstellung der Koralmbahn werden in Südösterreich Ende 2025 im wahrsten Sinne des Wortes „neue Weichen“ gestellt. Die Koralmbahn und der Koralmtunnel werden zum sprichwörtlichen Türöffner für einen neuen, starken Wirtschaftsraum – die AREA SÜD. Doch damit wächst nicht automatisch zusammen, was seit jeher zusammengehört. Denn weder regionalpolitisch noch wirtschaftshistorisch sind zwischen den beiden Bundesländern tiefschürfende gemeinsame Wurzeln oder Kooperationsmuster, die über gut nachbarschaftliche Beziehungen hinausgehen, auffindbar.

Geografisch haben sich die alten Herzogtümer Steiermark und Kärnten kaum zueinander geöffnet, es mussten meist mühsam Pässe überwunden werden. Erst mit der Einführung der statistischen Nomenklatur NUTS I sowie den intensivierten Diskussionen um europäische Verkehrsachsen rückte der Begriff „Südösterreich“ etwas stärker ins Bewusstsein. Wesentliche strategische Weichenstellungen, vor allem im Infrastrukturbereich, blieben ebenfalls aus, sieht man vom Vollausbau der A2 in den 1980-er und 90-er einmal ab.

Nach dem zweiten Weltkrieg unterschieden sich die beiden Länder in mehrerlei Hinsicht grundlegend und zwar in punkto Größe, in punkto industrieller Ballungen und durch die Tatsache, dass die Steiermark mit Graz einen großen Zentralraum mit etablierter Wissensinfrastruktur vorzuweisen hatte.

Erst die jüngere wirtschaftshistorischen Entwicklung fördert erste größere Gemeinsamkeiten zwischen der Steiermark und Kärnten zutage. Neben der Tatsache, dass beide Länder lange an der Grenze zu strukturschwachen und wenig dynamischen Wirtschaftsräumen lagen, sind es vornehmlich die heftigen Auswirkungen der Strukturkrise infolge der Rezession und der sogenannten „Wellblechkonjunkturen“ der 1980er-Jahre, deren direkte Folgen sich bis tief in die 1990er-Jahre erstreckten. Ein wesentlicher Grund war, dass sich die Industrie in beiden Bundesländern in ähnlichen strukturproblematischen Bereichen konzentrierte. Es gab eine Dominanz der verstaatlichten Unternehmen. Investitionen in sogenannte „verlängerte Werkbänke“ in strukturschwachen Gebieten waren lange das Instrument der Regionalpolitik. Anfang der 80er-Jahre setzte ein stetiger De-Industrialisierungsprozess in Südösterreich ein. Die Beschäftigungsanteile im sekundären Bereich sanken kontinuierlich, neue Beschäftigungsverhältnisse wurden vor allem im Dienstleistungsbereich geschaffen. Die Folgen der Struktur- bzw. Verstaatlichtenkrise waren bis zur Jahrtausendwende spürbar. Diese konnten in der Folge durch die konsequente Umsetzung neuer wirtschafts- und regionalpolitischer Ansätze, aus Basis effizienz- und wissensbasierter Maßnahmenpakte, erfreulicherweise überwunden werden.

Seither steigt die Zahl der Beschäftigten in der Industrie wieder, vor allem wenn man die industrienahen Dienstleistungen mit hinzurechnet – wobei sich die Jobs stark verändert haben. Der „klassische Arbeiter“ wird immer weniger nachgefragt, die Arbeitsplätze, die im produzierenden Bereich entstehen, werden vor allem von Höher- und Hochqualifizierten besetzt. Das langfristige Beschäftigungswachstum wurde nahezu ausschließlich von Frauen getragen. 1974 belief sich die Zahl der weiblichen unselbstständig Beschäftigten gerade einmal auf 123 Tsd., im Jahr 2018 waren es über 253 Tsd., dies entspricht einem Zuwachs von rd. 130 Tsd. weiblichen Beschäftigten. Im Vergleich dazu stieg die Beschäftigung bei Männern gerade einmal um 31 Tsd. Kärnten und die Steiermark, und somit gesamt Südösterreich, präsentieren sich heute als moderne Industrieregionen inklusive eines stark wachsenden servo-industriellen Sektors und zählen als solche zu den HIRE-Regionen Europas (Hochentwickelten Europäischen Industrieregionen). Beide Länder sehen sich trotz erfolgreich bewältigter Strukturkrisen gleichzeitig auch großen Herausforderungen gegenüber, vor allem wenn es darum geht, moderne Standortfaktoren zu bedienen und international attraktiv Mensch und Kapital zu sein.  

Abb. 1: Entwicklung der Beschäftigten in Südösterreich nach Sektoren männlich und weiblich 1974 – 2018

Unselbständige Beschäftigung nach Sektoren 1974-2018
Moderne Standortfaktoren als Herausforderung für die ökonomische

Erstens: „Region matters“! In einer kleinen, offenen und in die globale Arbeitsteilung integrierten Wirtschaft, spielt auch eine erfolgreiche Positionierung auf regionaler Ebene und somit eine strategische Regionalpolitik eine wesentliche Rolle. Die Qualitäten von Infrastrukturen, die Wirkung von Institutionen und die Herausbildung von leistungsstarken Humanressourcen können vor Ort erheblich beeinflusst werden.

Eine Region muss also eine aktive Position beziehen und möglichst danach trachten, kontinuierliche Verbesserungen zu setzen. Nachdem es auf der Hand liegt, dass die Wirkung von Maßnahmen, die positiv auf Synergie- und Skaleneffekte reagieren, bundesländerübergreifend größer ist, sollte „Südösterreich“ nicht auf eine statistische Zusammenfassung beschränkt bleiben, sondern eine strategische Entwicklungsgemeinschaft bilden.

Für die Frage einer funktionellen Ausdehnung wirtschaftlicher Räume spielen Wegzeiten eine wesentliche Rolle. Es kann (insbesondere für den Wissenstransfer) davon ausgegangen werden, dass Erreichbarkeiten bis 20 Min. zum Kernraum zählen und bis 50 Min. zum erweiterten Kernraum. Spätestens die Eröffnung der Koralmbahn wird hier für den Südraum Tatsachen schaffen, die antizipiert werden sollten.

Zweitens: Hat es vor den Strukturbrüchen der 1980er Jahre in Südösterreich oftmals „gereicht“, durchschnittliche technologische Kompetenz gepaart mit einem Reservoir an günstigen, angelernten Arbeitskräften in einem politisch stabilen Umfeld anzubieten (ein Rahmen, den auch periphere Gebiete erfüllen konnten – Stichwort „Verlängerte Werkbänke“), ist das heute durch massive globale Konkurrenz (Osteuropa, Asien) schon lange nicht mehr möglich. Die Zukunftschancen entscheiden sich vor allem daran, ob es möglich ist, endogenes (über F&E und Innovation induziertes) Wachstum aus der Region selbst heraus zu generieren. Steiermark und Kärnten werden sich fragen müssen, ob die derzeitige Positionierung ausreicht und inwiefern Kooperationsstrategien Vorteile bringen können.

Drittens: Aufgrund der Kostensituation in einem Hochlohnland wie Österreich, ist es entscheidend, sich mit einem hohen Anteil an Wissen (F&E) und Innovation sehr früh in einem Produktlebenszyklus zu positionieren. Hier spielen technologisch hochstehende Zulieferungen (Güter und Dienstleistungen) sowie industrielle Ausrüstungen eine dominante Rolle. Über Innovation und Exzellenz müssen entsprechende Margen gerechtfertigt werden. Damit muss aber die Bereitschaft von Politik und Unternehmen verbunden sein, sich von der Logik einer faktorgetriebenen Ökonomie in die Logik einer wissens- und innovationsgetriebenen Ökonomie hin zu bewegen.

Viertens: Die hohen qualitativen Anforderungen und zugrunde liegenden Prozesse, die Exzellenz, Wissensgenerierung, Wissensübertragung bedingen, benötigen kritische Massen und Nähe. Sie hängen mit völliger Klarheit an Größe und Fallzahlen. Nur durch die Effekte, die durch Agglomerationen entstehen (höhere Qualität an Infrastrukturen, Spezialisierung, Skalenerträge, breiteres Angebot an Humanressourcen, Wissensdiffusion), können Anforderungen in einem international wettbewerbsfähigen Maßstab erreicht werden. Nur durch eine entsprechende Ausdehnung von Einzugsgebieten und Bündelungen in einem Raum mit hoher Zentralität werden Angebote in den notwendigen Qualitäten finanzierbar.

Diese Frage dürfte in Südösterreich das „bottle neck“ schlechthin darstellen. Umso notwendiger wäre es, über Konzentration, Differenzierung, Kooperation und länderübergreifende Erweiterung dieses Defizit zu mildern.

Fünftens: Die alles entscheidende Ressource Wissen (zu unterscheiden von Information) klebt insbesondere in der Form des impliziten Wissens („tacit knowledge“) an Menschen und kann sich nur im Rahmen einer engen sozialen Interaktion als Wissenstransfer in unternehmerisch nutzbare Innovation wandeln. Sie lebt von der Ballung von Menschen auf engem Raum die wiederum (über Netzwerke und Begegnungsstätten) in einem permanenten Austausch sind. Es benötigt ein strategisches Management der Nähe. Wissensinstitutionen und Unternehmen müssen diese Räume und ihre Infrastrukturen suchen, um partizipieren zu können. Darin liegt eine Ursache heutiger Urbanisierungen.

Fazit

Durch die Fertigstellung der Koralmbahn ergibt sich die Jahrhundertchance, dass zwei Bundesländer zu einem Wirtschaftsraum verschmelzen, die in ihrer Wirtschaftshistorie zwar einige Parallelitäten aufzuweisen haben, aber keine tiefergehende gemeinsame regionalökonomische Geschichte zu erzählen haben. Die ökonomischen Möglichkeiten und Potentiale sind enorm, gerade im Hinblick auf jene Bezirke, die derzeit abseits der Ballungsräume beider Bundesländer liegen. Die Entwicklungschancen dürfen aber nicht Blick auf die Herausforderungen verhüllen, derer sich auch ein gemeinsamer Wirtschaftsraum Südösterreich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird stellen müssen, vor allem wenn es um Positionierung der Region im internationalen Standortwettbewerb geht. Diese lassen sich nur auf Basis einer bundeslandübergreifenden Maßnahmenagenda meistern. Wie eine solche aussehen kann und welche Schwerpunkte diese beinhaltet, wird Teil unseres nächsten Beitrags zur Blog-Reihe „Area Süd – die Wirtschaftsregion Südösterreich“ sein.