Alles Verkehr(t) im Großraum Graz?

Graz ist als zweitgrößte Stadt Österreichs ein wichtiger Knotenpunkt im Verkehrsnetz. Doch der Anstieg an Pendlern, Touristen und Lieferverkehr stellt den Großraum Graz heute zunehmend vor Herausforderungen. Daher wurden in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um den Verkehr nachhaltiger und effizienter zu gestalten. Doch gelingt die Verkehrswende in Graz?

Zuletzt aktualisiert am 04.04.2023, 15:14

Verkehr in der Grazer Neutorgasse zeigt Notwendigkeit der Verkehrswende in Graz. Die Grazer Neutorgasse ist seit dem 6. März 2023 aufgrund des Baus neuer Tramrouten für den Verkehr gesperrt. © Foto Fischer

Der Großraum Graz (G, GU) ist neben dem Ballungsraum Wien (inklusive dem Wiener Umland und dem Nordburgenland) der am zweitstärksten wachsende Wirtschafts- und Lebensraum von Österreich. Bis zum Jahr 2040 wird die Region von aktuell 450.000 Einwohner:innen auf 493.000 Einwohner:innen wachsen. Dass damit in den nächsten 15 Jahren mehr Verkehrsströme zu erwarten sind, ist selbsterklärend.

Wirtschaftlich gesehen ist der Großraum Graz mit 46 Prozent der steirischen Wertschöpfung das Zugpferd der Steiermark schlechthin. Im Bildungs- und Ausbildungswesen ist die Stadt Graz zentral, nicht nur als Universitäts- und FH-Standort, sondern auch für viele Schüler:innen, die etwa aus dem Umgebungsbezirk täglich nach Graz einpendeln. Summa summarum zählt die Stadt Graz daher rund 112.000 Einpendler:innen (92.000 Erwerbstätige und 20.000 Schüler:innen und Studierende). Von allen größeren Städten in Österreich hat nur Wien wesentlich mehr Pendlerströme zu bewältigen, vom Niveau her ist Graz mit Linz vergleichbar, alle anderen Städte weisen deutlich weniger Verkehrsbelastungen aufgrund des Pendelaufkommens auf.

Trotz dieser enormen Belastungen, die auf die städtische Verkehrsinfrastruktur tagtäglich einwirken und aufgrund der demografischen Prognosen, die im Steigen begriffen sind, ist es der Politik bis dato nicht gelungen, nachhaltige Verkehrslösungen für eine Verkehrswende in Graz umzusetzen. Noch schlimmer: Es fehlt sogar die Perspektive dafür: Das aktuellste Mobilitätskonzept datiert aus dem Jahr 2015. An Ideen mangelte es hier jedoch nicht, von der Murgondel bis zur U-Bahn und dem aktuellen S-Bahn-Konzept war schon alles dabei. Auch wichtige Straßenbahnprojekte sind in der Schublade. Aber für die Anbindung nach Graz selbst (etwa aus dem Norden von Graz) liegen mit dem viergleisigen Ausbau zwischen Graz und Bruck/Mur konkrete Vorschläge auf dem Tisch.

Der passivste und kaum sichtbare Diskussionsteilnehmer war und ist hier das Verkehrsministerium, einerseites was die konzeptive Unterstützung betrifft, und andererseits was die Aussicht auf Finanzierung betrifft. Es scheint so, als wäre der zweitgrößte Ballungsraum des Landes Österreich auf sich alleine gestellt, während in Wien ein Projekt nach dem anderen umgesetzt wird, der Steuerzahler aus der Steiermark den U-Bahn-Ausbau in Wien mitfinanziert und sogar in Städten wie Salzburg den Mini-U-Bahn-Plänen gefühlsmäßig mehr Beachtung geschenkt wird.

Was wurde bis dato für die Verkehrswende in Graz erreicht?

Bevor nun aber auf die zukünftigen Weichenstellungen im Infrastruktur- und Mobilitätsbereich im Detail eingegangen wird, sind auch ein paar positive Punkte hervorzuheben, die in der Grazer Mobilitätspolitik für eine Verkehrswende in Graz umgesetzt wurden bzw. werden:

  • Straßenbahn: Ausbau der Linie 5 nach Puntigam sowie Baubeginn der Entlastungsstrecke der Innenstadt (hier muss jedoch die Erreichbarkeit der Betriebe sicher gestellt sein).
  • Installation von tim (täglich, intelligent, mobil) – Verkehrsknoten und REGIOtim in Graz-Umgebung
  • Mikro-ÖV-Modell GUSTmobil
  • Verzicht auf Umweltzonen und Fahrverbote
  • Etablierung von Querverbindungen bei Buslinien im Süden und Westen von Graz (2. HJ 2023)
  • Taxi- und LKW-Förderungen zur umweltfreundlichen Flottenerneuerung
  • Bau des Südgürtels und Umgestaltung Knoten Webling
  • Flughafen Graz: Aufrechterhaltung der Hub-Funktion (Anbindung wichtiger Drehkreuze)

Maßnahmen im überregionalen Verkehr – Erreichbarkeit des Ballungsraumes

Aus Sicht der Wirtschaft und eines nachhaltig wettbewerbsfühigen Wirtschaftsstandortes sind folgende Maßnahmen zur Verbesserung bzw. Aufrechterhaltung der Erreichbarkeit des Großraumes Graz notwendig:

  • Verbesserung der S-Bahn-Anbindung aus dem Norden (Bahnhof Gösting mit Verkehrsdrehscheibe)
    • Derzeit fahren sämtliche Züge vom Norden kommend direkt zum Hauptbahnhof durch, von wo eine zentrale Verteilung mit Bussen und Straßenbahnen erfolgt. Hier besteht die Forderung nach einem S-Bahn-Halt auf Höhe Shopping-Nord/Weinzödl oder der HTL-Bulme. Beim Bahnhof Gösting könnte dann ein Nahverkehrsknoten mit ÖV-Anbindung (NVK Gösting) entstehen. Jedenfalls ist der Bahnhof Gösting mit einer direkten Straßenbahnanbindung in das Grazer Straßenbahnnetz zu integrieren.
  • Bahnstrecke Graz – Bruck/Mur – 4-gleisiger Ausbau
    • Mit der Fertigstellung der Koralmbahn und des Semmeringbasistunnels ist im Abschnitt Graz-Bruck/Mur eine beträchtliche Verkehrszunahme zu erwarten, weshalb dieses Teilstück ohne Gegenmaßnahmen zum Flaschenhals auf der Baltisch-Adriatischen-Achse, die durch Österreich führt, werden wird.
  • Elektrifizierung und neue Trassierung für Steirische Ostbahn
    • Ein wichtiges Projekt auf der Schiene ist auch die steirische Ostbahn. Unmittelbar ist dabei die Elektrifizierung der Bestandsstrecke anzustreben. Langfristig sind eine Neutrassierung zwischen Raaba und Gleisdorf (zweigleisig) und eine direkte Anbindung an die Koralmbahn sinnvoll.    
  • Flughafen Graz: „People Mover“ als Zwischenlösung
    • Bis zur Realisierung eines neuen Flughafenbahnhofes, der eine Fahrzeitbeschleunigung zwischen Graz und Bruck/Mur auf 30min. voraussetzt, sollte ein „People-Mover“ zur S-Bahn auf Ebene +1 wie etwa am Flughafen Leipzig eingerichtet werden. Parallel dazu ist das Betriebskonzept der Koralmbahn ab 2025 dahingehend zu entwickeln, dass der bestehende S-Bahn-Halt bedient wird, dies auch vor dem Hintergrund der Anbindung aus dem Raum Kärnten.
  • Fernitzer Bahn
    • Eine Trasse der Grazer Ostbahn durch Messendorf, Raaba und Autal könnte für eine Verlängerung der Straßenbahnlinie 4 genutzt werden. Diese „Fernitzer Bahn“ könnte auch in Form einer neuen ÖV- bzw. S-Bahn-Achse Liebenau – Raaba – Grambach – Dörfla – Gössendorf – Hausmannstätten – Fernitz – Kalsdorf zusammen mit der Integration Koralmbahn-steirische Ostbahn installiert werden (vgl. Adelsberger und Petzmann 2018, S. 86). Diese neue ÖV-Achse würde dann mit der Südbahn zusammentreffen.
  • Ausbau der A9 im Süden – Dritte Spur zwischen Graz und Spielfeld und Begleitstraße
    • Der Raum südlich von Graz wächst stark, zusätzlich werden die Kapazitäten beim Cargo Center Graz erhöht. Der Bau einer dritten Spur in jede Fahrtrichtung ist dringend notwendig.
    • Das Projekt Begleitstraße zur A9 ist vom Land Steiermark in Abstimmung mit den Gemeinden südlich von Graz voranzutreiben.
  • Lückenschluss Autobahnabfahrt A2 Raaba und Tunnel Hausmannstätten
    • Eine direkte Verbindung zwischen der A2 und dem Tunnel Hausmannstätten ist zu überprüfen.
  • Autobahnauffahrt Industriegebiet Lieboch Richtung Graz
    • Das Industriegebiet Lieboch sollte durch eine zusätzliche Auffahrtsrampe Richtung Graz aufgewertet werden.
  • Autobahnabfahrt NEU – Vollausbau Hart bei Graz
    • Zur Entlastung des bestehenden Industrie- und Wohngebietes ist eine Anschlussstelle zwischen dem Knoten Graz-Ost und Laßnitzhöhe notwendig

Maßnahmen im innerstädtischen Verkehr zur Verteilung der Verkehrsströme

Schienenlösung größer denken – U-Bahn light oder S-Bahn-Lösung umsetzen

Weitere Straßenbahnlösungen sind im Detail abzustimmen mit der unterirdischen Lösung, welche jedenfalls in weiterer Folge oberste Priorität haben muss: Nur durch Erschließung einer neuen Ebene für den Öffentlichen Verkehr kann in einer historisch gewachsenen Stadt mit entsprechend engen Straßen der ÖV so attraktiviert werden, dass eine stärkere Verschiebung im Modal Split Richtung ÖV möglich ist.Angesichts des weiteren Bevölkerungswachstums und der damit einhergehenden Verdichtung im städtischen Gebiet ist aus Sicht der Wirtschaft „groß zu denken“. Ein U-Bahn „light“ mit 2 Linien, wie sie bereits sehr detailliert geplant wurde, wird daher nach wie vor gegenüber einem kurzen S-Bahn Tunnel – für den es auch noch keine Detailplanungen gibt – aus folgenden Gründen bevorzugt:

  • Die U-Bahn wäre auch für die Grazer Wohnbevölkerung attraktiv, während der S-Bahn-Tunnel lediglich ein Angebot für PendlerInnen darstellen würde. Die U-Bahn würde geplante Straßenbahnprojekte wie die Nord West Linie oder die „Uni Linie“ ersetzen, wodurch mehr Platz an der Oberfläche für weitere Nutzungen verbliebe.Sie würde durch neue Nahverkehrsknoten (z.B. in Gösting) stärker zu einer Entzerrung der Fahrgastströme führen, während die kurze S-Bahn-Variante bestehende, stark frequentierte, Knotenpunkte wie Hauptbahnhof oder Jakominiplatz weiter belasten würde. 

Dynamische Parkleitsysteme in Überlegungen mit einbeziehen

40% der Kunden der Grazer Innenstadt kommen aus dem Umland. Viele dieser Besucher fahren nicht regelmäßig in die Innenstadt und kennen daher das durchaus „schwierig“ zu überblickende Grazer Verkehrsnetz samt Parkmöglichkeiten nicht gut. Um diese Besucher schneller zu freien Parkplätzen bzw. Park+Ride-Flächen zu leiten und damit den Parkplatzsuchverkehr zu verringern, ist die Einführung eines dynamischen Leitsystems mit Integration aller vorhandenen Innenstadtgaragen eine Alternative.

Sicherung von PKW-Stellplätzen

Sowohl die Ergebnisse der Einzelhandelsstrukturanalysen aus den Jahren 2014 und 2017, als auch eine Befragung aus dem Jahr 2011 und eine aktuelle Umfrage aus dem Jahr 2020 von Besuchern der Innenstadt zeigen eines deutlich: Die Parksituation wird als größtes Manko bewertet, wobei in erster Linie die nicht ausreichende Verfügbarkeit von PKW Flächen kritisiert wird (90% der Nennungen).  Diese Umfragen bestätigen die große Bedeutung des PKW für die Innenstadt. Es braucht daher ein Bekenntnis zur Sicherung von Stellplätzen bzw. zumindest zur Schaffung von Ersatzflächen in Hoch oder Tiefgaragen, wenn Parkplätze zugunsten von ÖV oder Radwegeausbau gestrichen werden.

Weitere Maßnahmen für die Verkehrswende in Graz

  • Ausarbeitung einer Strategie für neue Tiefgaragen im Zentrum von Graz
  • Radoffensive 2030 unter Einbindung der Wirtschaft umsetzen
  • Ausbau der tim – Standorte & Erweiterung um E-Bikes

Zusammenfassung

Trotz jährlicher Bevölkerungs- und Verkehrszunahme ist der Verkehrsfluss in Graz und Graz-Umgebung großteils noch gewährleistet, aber zu Stoßzeiten bereits am Limit. Infrastrukturell hat die Fertigstellung des Südgürtels zwischen Puntigam und Liebenau eine große Entlastung gebracht.

Damit die Erreichbarkeit des Ballungsraumes auch in Zukunft gewährleistet bleibt, sind aber sowohl überregional als auch innerstädtisch weitere Maßnahmen erforderlich. So ist vor allem die Eisenbahnverbindung aus dem Norden verbesserungsfähig: Speziell der Abschnitt Graz – Bruck/Mur wird mit der erwarteten Verkehrszunahme zu einem Engpass werden, der zu beseitigen ist. Ein Bahnhof bzw. Nahverkehrsknoten in Gösting könnte zudem eine wichtige Verteilerfunktion von Verkehrsströmen einnehmen.

Auf der Straße ist der Bau einer dritten Spur auf der A9-Pyhrnautobahn zwischen Graz und Slowenien eine bedeutende Maßnahme zur Verflüssigung des Pendlerverkehrs. In GU sind zudem Autobahnanschlussstellen zu den Industrie- und Gewerbegebieten Hart bei Graz und Lieboch sowie ein Lückenschluss zwischen der A2 bei Raaba und dem Tunnel Hausmannstätten von Bedeutung.

Im innerstädtischen Verkehr in Graz ist neben der weiteren Vermeidung von Fahrverboten bzw. einer City Maut aus Sicht der Wirtschaft ein Bekenntnis zur Sicherung von PKW-Stellplätzen und eine Strategie für das Thema Tiefgaragen erforderlich. Es braucht überdies ein Bekenntnis, dass Einschränkungen z.B. durch den Wegfall von Parkplätzen nur dann umgesetzt werden, wenn zeitgleich Ersatzmaßnahmen gesetzt werden, um die Erreichbarkeit insgesamt nicht einzuschränken. Gemeinsam mit einem intelligenten Verkehrsleitsystem, das ein dynamisches Parkleitsystem beinhaltet, können so unnötige Verkehrswege vermieden und CO2 reduziert werden.

Innovative Ideen für die Verkehrswende in Graz wie der S-Bahn-Tunnel oder die U-Bahn-light sind weiterzuverfolgen und deren Umsetzung nach exakter Abwägung und Bewertung von Vor- und Nachteilen mit dem Bund abzustimmen. Als zweitgrößter Ballungsraum von Österreich, der noch dazu stark wächst, sind Kofinanzierungen des Bundes bei größeren, strategischen Projekten legitim und auch einforderbar.


Literaturquellen:

Adelsberger, H. und Petzmann, H. (2018), Schienenkorridore für die Steiermark – Ausbauvorstellungen für den Güter- und Personenverkehr, Steirische Regionalpolitische Studien (1 /2018), Studie im Auftrag der steirischen Sozialpartner.

Fallast, K. (2015): Mobilitätskonzept Graz 2020. Maßnahmenplan.

Fallast, K. und Klamminger A.S. (2021), Moderne Urbane Mobilität 2030+: Die Metro, unsere Schnellbahn für den Großraum Graz.

Hüsler, W. und König, P. (2022), Schienennetz für einen klimafreundlichen steir. Zentralraum – Präsentation der Ergebnisse für Graz am 07.11.2022.

Land Steiermark (2018), Radverkehrsstrategie Steiermark 2025 – Starker Antritt – das grüne Trikot für die Steiermark, verkehrplus GmbH Graz.

Stadt Graz und Land Steiermark (2022), Masterplan Radoffensive 2030.