Warum in Österreich die Diskussion über die Höhe der Sozialhilfe nicht sachlich fundiert geführt werden kann
Alle Jahre kommt sie wieder, die Diskussion über die Sozialhilfehöhe.
Zuletzt aktualisiert am 05.09.2024, 12:43
Vor allem in Wien soll sie viel zu hoch sein. Wahrscheinlich stimmt diese Behauptung auch; der Verdacht liegt zumindest nahe, wenn man die dortige Sozialhilfehöhe mit jener der anderen Bundesländer vergleicht. Genau weiß das allerdings niemand. Warum ist das so? Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Der Gesetzgeber hat niemals offengelegt, warum und ob die von ihm gewählten Existenzminima tatsächlich nur existenzsichernd sind.
Als Bezugsgröße für alle Existenzminima in Österreich dienen die Ausgleichszulagenrichtsätze. Sie entstammen dem Pensionsrecht. Die Ausgleichszulage soll jeder Person, die eine Pension bezieht, ein Mindesteinkommen sichern. Sofern das Einkommen eines Pensionisten den sogenannten Ausgleichszulagenrichtsatz nicht erreicht, erhält er eine zusätzliche Zahlung in Form der Ausgleichszulage, bis dieser Richtsatz erreicht wird. Die Richtsätze unterscheiden unter anderem danach, ob der Pensionist alleinstehend oder verheiratet ist. Für alleinstehende Pensionisten beträgt dieser Richtsatz für das Jahr 2024 beispielsweise € 1.217,96. Unterschreitet das Einkommen eines alleinstehenden Pensionisten diesen Wert, so hat er einen Rechtsanspruch darauf, dass die Ausgleichszulage eine Aufstockung bis zu diesem Wert vornimmt. Ein lebensbedarfsdeckender Geldwert spielt aber nicht nur als Mindesteinkommen für Pensionisten eine Rolle, da soziale Schutzbedürftigkeit auch innerhalb anderer Personenkreise auftreten kann. Daher muss nicht nur das Pensionsversicherungsrecht ein Mindesteinkommen regeln, sondern all jene Gesetze(sbestimmungen), die eine Mindestbedarfsdeckung vor Augen haben. Sinnvollerweise orientieren sich diese anderen Bestimmungen an den Ausgleichsrichtsätzen des § 293 ASVG. Dementsprechend legt auch das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz den Netto-Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende als Höchstwert fest. Diese Vorgehensweise legt den Verdacht nahe, dass der Gesetzgeber sich weitreichend und akribisch mit der Höhe der Ausgleichszulagenrichtsätze beschäftigt hat. Immerhin sollen diese ja lebensbedarfsdeckend im Sinne eines Existenzminimums sein. Leider wird dieser Verdacht nicht bestätigt. Die Ausgleichsrichtsätze wurden 1955 im ASVG eingeführt. Den damaligen Werten lag weder ein gesetzlich statuiertes spezielles Ermittlungsverfahren zugrunde, noch finden sich in den Materialien Hinweise darauf, ob und warum diese Werte existenzbedarfsdeckend sein sollten. Ja mehr noch, man weiß nicht einmal, ob der Gesetzgeber ein physisches oder ein soziokulturelles Existenzminimum schaffen wollte. Daran hat sich bis zum heutigen Tage nichts geändert. Auch jetzt existiert kein gesetzliches Verfahren zur Ermittlung eines transparenten Existenzminimums. Stattdessen werden nur die damaligen Werte mit einem jährlichen Anpassungsfaktor erhöht, damit die Kaufkraft gesichert bleibt. Die Frage, ob Existenzminima in Österreich korrekt gewählt wurden, bleibt somit nach wie vor offen, weil diesen auf Gesetzesebene kein systematisches Ermittlungsverfahren zugrunde liegt.
FAZIT: Eine Diskussion zur Sozialhilfenhöhe kann daher erst dann sachlich fundiert geführt werden, wenn man auf Gesetzesebene ein solches Ermittlungsverfahren eingeführt hat. Ein Beispiel kann man sich in diesem Zusammenhang an Deutschland nehmen. Dort ist die Höhe eines monatlichen soziokulturellen Existenzminimums in transparenter und pauschalierter Weise auf gesetzlicher Ebene geregelt. Bei der Ermittlung der dortigen Regelbedarfsstufen sind Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen. Ein Ansatz der auch für Österreich Sinn machen würde…