Offen gesagt

Das EU-Handelsabkommen mit Südamerika: Ein Faktencheck

Internationale Handelsabkommen werden in der öffentlichen Debatte oftmals kritisch gesehen. Zu Unrecht, öffnen sie doch neue Märkte und sichern damit Wohlstand.

Zuletzt aktualisiert am 30.06.2023, 09:17

Handelsabkommen zwischen Mercosur und der EU - Auf den Landkarten von Südamerika und Europa befinden sich die jeweiligen Symbole. Davor die Illustration eines Händedrucks als Symbol für einen Vertrag. © John Kehly - stock.adobe.com

Der gemeinsame südamerikanische Markt – Mercado Común del Sur (MERCOSUR) – wurde im Jahr 1991 gegründet und ist ein Zusammenschluss der Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay . Der gemeinsame Markt könnte in weiterer Folge um den Beitrittskandidaten Bolivien sowie die assoziierten Mitglieder Chile, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru und Suriname erweitert werden.

Aktuell ergibt sich durch den EU-Ratsvorsitz von Spanien in der zweiten Jahreshälfte 2023 ein „window of opportunity“ für den Abschluss eines EU-Mercosur Abkommens. Dieses Freihandelsabkommen, das schon länger in Verhandlung ist, würde bedeutende Bereiche von der Landwirtschaft über Rohstoffe bis hin zu Industriegütern regeln. Einerseits herrscht in Europa Angst vor landwirtschaftlicher Konkurrenz aus Südamerika bzw. Bedenken bzgl. der Gefährdung kleinbäuerlicher Strukturen, andererseits würde das Abkommen aus wirtschaftlicher und industrieller Hinsicht aber viele Vorteile mit sich bringen. Ein volkswirtschaftlicher Faktencheck versucht in diesem Beitrag auf wesentliche Stärken und Vorurteile dieses Freihandelsabkommens mit Bezug auf Österreich bzw. die Steiermark einzugehen:

Das Abkommen liefert neue Impulse für eine florierende Wirtschaft und sichere Arbeitsplätze, die in Zeiten der Krisen für Österreich unverzichtbar sind. Es kompensiert die negativen Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine und erhöht die Resilienz der österreichischen Wirtschaft durch Diversifizierung und Sicherung von Lieferketten. Es liefert die Basis für die Verfügbarkeit wichtiger strategische Rohstoffe wie Lithium aus Argentinien, das speziell für den Automobil-/bzw. Mobilitätssektor eine bedeutende Rolle spielt, oder seltene Erden in Form von Gadolinium (Brasilien). Generell ist das Abkommen das Eintrittstor in einen großen Wirtschaftsraum mit Wachstumspotential:

  • Der Mercosur ist ein Markt mit rund 260 Mio. Einwohnern – also ca. die Hälfte der heutigen EU. Ein Vorteil ist der homogene Raum mit den beiden Sprachen Spanisch und Portugiesisch, der eine Marktbearbeitung viel leichter macht, als es in vergleichbaren größeren Regionen der Fall ist.
  • Die Beziehungen mit Österreich sind bereits heute gut und ausbaufähig:
    • Zwischen Österreich und dem Mercosur bestehen bereits enge Handels- und Investitionsbeziehungen.
    • Von den 1.104 Unternehmen aus Österreich, die nach Argentinien und Brasilien exportieren, sind 65 Prozent KMU.
    • Durch das Handelsabkommen werden Zölle im Mercosur auf 91 Prozent der Waren vollständig abgeschafft. Mit dem Abkommen reduziert sich die Belastung durch Zölle für Exporte aus Österreich um geschätzte 88 Mio. Euro pro Jahr.
    • Ungefähr 1.110 Unternehmen aus Österreich exportieren Waren und Dienstleistungen im Wert von über 1 Mrd. Euro in den Mercosur.
    • 32.000 Arbeitsplätze: Hängen von Exporten in den Mercosur ab.
    • Bereits heute sind rund 240 Unternehmen aus Österreich im Mercosur aktiv.
  • Österreich hat seit Jahren einen deutlichen Handelsüberschuss mit den Mercosur-Staaten. Wichtige wirtschaftliche Sektoren und Exportschlager sind Arzneimittel, Chemikalien, Messgeräte, Stahlprodukte, Maschinen und Elektrogeräte, Softdrinks, Papierwaren etc.
  • Die Steiermark hat 2021 Waren im Wert von 217 Millionen Euro in die vier Länder ausgeführt – das ist ein Anteil von rund 23,5 Prozent an den österreichischen Mercosur-Exporten in diesem Jahr. Die Steiermark ist damit jenes Bundesland, das die meisten Waren aller Bundesländer in den Mercosur-Raum exportiert.
  • Vor allem die wirtschaftlichen Verflechtungen der Steiermark mit Brasilien sind stark. Güter im Wert von 193 Millionen Euro wurden aus der Steiermark in das portugiesisch sprechende Land im Jahr 2021 ausgeführt. Das sind 25% der Gesamtösterreichexporte nach Brasilien (!).
  • Aus Südamerika gibt es generell auch ein beträchtliches Potential an qualifizierter Zuwanderung. So haben etwa Argentinier eine gute Beziehung zu Europa und ein hohes Bildungsniveau.

Trotz dieser Vorteile kursieren leider auch viele Mythen im Internet, die einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollten (vgl. WKÖ 2023):

  1. „Billigrindfleisch und eine Überflutung mit Steaks aus Südamerika sind die Folge“
    FAKT: Zum Schutz der Interessen der europäischen Landwirte wurde der EU-Markt nicht komplett geöffnet. Konkret wurden für Rindfleisch Kontingente für frisches Rindfleisch bzw. für gefrorenes Rindfleisch – in einer Gesamthöhe von 99.000 Tonnen für alle vier Mercosur Länder, mit einem Zoll von 7,5 Prozent, vereinbart. Diese stehen jedem Importeur in der EU zur Verfügung und werden nach dem Prinzip „first come first serve“ vergeben. Sobald die im Abkommen vereinbarten Kontingente ausgeschöpft sind, unterliegt jeder weitere Import dem höheren Drittlandszoll der EU. Die festgelegten Mengen entsprechen nur etwas mehr als 1 Prozent der in Europa pro Jahr verzehrten acht Millionen Tonnen. Von diesen 99.000 Tonnen entfallen wiederum (nur) 55 Prozent auf hochwertiges „frisches“ und 45 Prozent auf gefrorenes Rindfleisch. Bricht man die Menge an zusätzlichem Rindfleisch pro EU-Bürger auf Österreich herunter, sprechen wir von höchstens 221g pro Kopf. Also im Jahr allenfalls ein normales Steak.
  2. „Minderwertiges Hormonfleisch wird in die Supermärkte gelangen“
    FAKT: Es werden keine Standards bei Lebensmitteln gelockert. Stattdessen gibt es ein durchdachtes Kontrollsystem.
  3. „Die Rinderzucht wird massiv ausgeweitet und der Regenwald endgültig abgeholzt“
    FAKT: Durch das Abkommens wird der Regenwald nicht aufgrund neuer Rinderweiden zerstört. Brasilien wird zu mehr, und nicht zu weniger Schutz des Regenwaldes verpflichtet – auch Nachhaltigsaspekte sind also Teil der Vereinbarung. Zudem sichert die Quotenregelung in Bezug auf die vom Abkommen festgelegte maximale Rindfleischmenge, die mit Zollvorteilen exportiert werden darf, keine massive Ausweitung der Rinderzucht.
  4. „Der österreichische Agrarsektor profitiert gar nicht von diesem Abkommen“
    FAKT: Die Landwirtschaft ist durch den Abbau von Handelshemmnissen einer der Profiteure von EU-Handelsabkommen. So kommt die EU als erster Handelspartner der Mercosur-Staaten, in denen 260 Millionen Konsumenten leben, in den Genuss eines geöffneten Marktes. Neue Wachstumschancen könnten sich etwa bei Milchprodukten und verarbeiteten Fleischwaren ergeben. Im Bereich Wein und Spirituosen werden die Exporte ebenfalls vereinfacht.

Summa summarum sind intelligent gestaltete Freihandelsabkommen gerade in Zeiten von zunehmenden protektionistischen Tendenzen in Bezug auf strategisch wichtige Rohstoffe und Zulieferprodukte wesentliche Bestandteile einer zukunftsorientierten und widerstandsfähigen europäischen, wirtschaftspolitischen Grundausrichtung. Der gemeinsame Markt Südamerikas bietet hier große Chancen für die europäische Volkswirtschaft. Österreich als exportorientierte kleine offene Volkswirtschaft kann hier besonders als Gewinner hervorgehen und innerhalb Österreichs ist die Steiermark jenes Bundesland mit den höchsten Exportanteilen in den MERCUSOR. Die österreichische und steirische Politik sollte sich daher mit Vehemenz dafür einsetzen, dass die Verhandlungen mit Südamerika zu einem positiven Abschluss kommen. Dies ist im Sinne der Wirtschaft, der Nachhaltigkeit und Resilienz gegenüber internationalen Zerwürfnissen, aber auch im Sinne der Landwirtschaft und des Klimaschutzes zu sehen.


Quellen:
Deutsches Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2023), Gemeinsamer Südamerikanischer Markt (MERCOSUR) | BMZ

Handelsabkommen EU – MERCOSUR Neue Chancen für Österreich (WKÖ 2023),
2023-FS-Mercosur.pdf (wko.at)

MERCOSUR Mythen: Fakten zur Landwirtschaft (WKÖ 2023),
2023-Mercosurmythen.pdf (wko.at)

MERCOSUR – Página oficial